wanderduene
Vom Westen nichts Neues
jollyj | 04. Juni 07
China, das Riesenreich, wird in der Tigersprungschlucht im Suedwesten des Landes auf 22 km Strasse gepresst. Durch die Schlucht waelzt sich in stattlicher Breiter eine asphaltierte Strasse, die mit einem gewaltigen, dynamit-intensivem Kraftaufwand chinesischer Arbeiter in den Berg gehauen wurde - und den Weg frei machen sollte fuer "hoeher" entwickelten Tourismus, fuer grosse Tourbusse und bunte Gruppenleiterfahnen.
Drei Kilometer sind es vom Schaum der Stromschnellen des Yangze bis zum Schnee auf den Bergspitzen des Haba. Fast vertikal druecken sich die grauen Felswaende dem Himmel entgegen und formen so eine der tiefsten Schluchten der Welt. Man muesste beeindruckt sein von der chinesischen Ingenieurskunst, die es ermoeglichte, eine Strasse in diesem Terrain zu bauen, man muesste beeindruckt sein vom kompromisslosen Gestaltungs- und Entwicklungswillen der Chinesen - gerade wenn man deutsche Streitereien, an dessen Ende allzuoft, wenn ueberhaupt halbgare Kompromisse stehen, gewohnt ist.
Nur erreicht keiner der Tourbusse auch nur die Mitte der Schlucht. Ein gewaltiger Erdrutsch bei Kilometer acht versperrt den Weg; ebenso wie bei Kilometer 17. Gut ein Dutzend Fahrzeuge sind gefangen in dem Mittelteil. Aber Chinesen waeren nicht Chinesen, wenn sie nicht sogar aus diesem misslichen Umstand ein Geschaeft machen koennten. Will man mit einem Auto von einem Ende der Schlucht zur anderen gelangen, gilt es jetzt dreimal Y 50 zu zahlen, anstatt wie frueher nur einmal. Und dank eines Lehrbuch-Monopols und Kartell-Bildung ist jegliches Verhandeln zwecklos. Geld ist das Opium des Volkes - nicht umsonst sind die Saeuseleien der KPC so erfolgreich. Die Chinesen haben einen mehr als ausgepraegten Geschaeftssinn. Unter der Hand nennen einige sie die "Juden Asiens", weil sich in ihren Hauesern, egal in welchem Land man sich befindet, das Kapital sammelt. Die meisten (illegalen) Wechselstuben in Suedostasien liessen sich immer in den chinesischen Vierteln der Staedte finden.
Verhandeln mit den Chinesen wird um so haerter, paart sich doch ihre oekonomische Ruchlosigkeit in einer symbiotischen Beziehung mit einer guter Portion Stolz, Nationalstolz wie persoenlichem. Mehr als zweimal wurde ich schief angeschaut als ich auf chinesische Wortlawinen, die ueber mir hereinbrachen, nur mit einem schutzsuchenden Kopschuetteln antworten konnte.
Und genau jener Stolz wandelt sich in grenzenlose Ueberheblichkeit kommt es zu Fragen des Umweltschutzes, er wird zur altgriechischen Hybris, der Herausforderung der Goetter. Auch wenn 2000 Jahre Geschichte, das Schwarzpulver und ein Riesenreich hinter der chinesichen Zivilisation stehen, duerfte das kein Grund fuer Respektlosigkeit einer Erde sein, die 6 Milliarden Jahre, Vulkane und sechs Kontinente vorzuweisen hat. Aber dieser Logik beugt sich der chinesiche Allmachtsglaube nicht. Was nicht passt, wird passend gemacht. Der Permafrostboden, der unter der hoechsten Eisenbahnstrecke der Welt vom tibetsichen Lhasa nach Golmud 1000 km weiter noerdlich liegt, wird kuenstlich tief gefroren, um Destabilisierungen der Fahrbahntrasse zu vermeiden. Wenn die Wueste Gobi wegen intensiver Landwirtschaft auf Peking vorrueckt, pflanzt die chinesiche Regierung einfach 5 Millionen Baeume an deren Raendern, damit deren Wurzeln den Sand halten. Und wenn Felswaende in einem steilen Gefaelle dreitausend Meter hoch dem Himmel entgegen jagen ist das noch lange kein Grund dort keine Strasse zu bauen.
Die Strasse in der Schlucht ist zwei Jahre alt. An ihren Raendern broeckelt der Teer, etliche der kniehohen Leitpfosten sind stark von Wind und Wetter geschaedigt und zu den beiden definitven Erdrutschen gesellen sich Dutzende Kleinere, die de facto nur mit einem Gelaendewagen zu ueberqueren sind. Aber als wir mit Vans ueber den Schutt holperten, roch es nach Verfall. Sie klapperten und quietschten, stellenweise setzte deren Motor aus und das Radio verlor sich in kraechzendem, jaemmerlichen Rauschen und Knacken. An einer Stelle, vielleicht Kilometer 16, rollten zwei, drei faustgrosse Steine den Hang hinab. Unser Fahrer hielt und beobachtete. Acht Augenpaare starrten gebant auf das Grau der Kiesel. Zwei weitere Steine huepften den Berg hinab. Kein Atemzug war zu hoeren. Niemand sagte etwas. Und wieder kamen Steine, diesmal groesser. Unruhe machte sich im Wagen breit. Doch dann: Nichts. Eine Minute lang passiert nichts; der Hang war ruhig. Der Fahrer legte den Gang ein, lliess den Motor aufheulen und jagte an dem Hang vorbei, nur um schliesslich an dem Erdrutsch bei Kilometer acht zu halten, das Geld zu fordern und uns ueber das Geroell klettern zu lassen.
Ein LKW wurde dort gerade entladen, Zementsaecke, dem Augenmass nach gute 50 kg schwer. Fuenf junge Chinesen schleppten die Saecke ueber die Steine. Ihre Gesichter: staubverschmiert, aschgrau die Haut, die Haare, die Augen. Ihr Atem: schwer. Nach jedem Gang mussten sie pausieren. Gut 100 Saecke galt es zu entladen. In einem Volk von mehr als einer Milliarde gilt ein Menschenleben wohl nicht viel - dafuer spricht nicht nur das Aschgrau der Augen der Traeger, nein auch die Todesstatistiken Maos, die Massenaufmaersche und einhundert zwanzig rote Muetzen, die sich zu einem schulischen Fahrradausflug versammeln.
Schwierig ist da der Kontakt zu den Einheimischen, nicht nur stehen Sprachbarrieren im Weg, nein auch die eigene Auffassungsgabe. Denn sieht man jeden Tag tausende Chinesen, scheint sich darin der Einzelne zu verlieren. Es braucht ein langes Gespraech oder intensiven E-Mail-Kontakt oder ein Tanz auf den Dorfplatz, um den anonymen Gesichtern eine Persoenlichkeit zu geben. Es braucht mehr fuer mich, um eine Beziehung zu den Einheimischen aufzubauen als in den anderen Laendern. Das ist eigenartig, denn die Gespraeche hier sind laenger und tiefer, der Kontakt zahlreicher und das Laecheln der Menschen genauso offen wie anderswo.
Es scheint als stuende stehts noch etwas zwischen uns, es scheint als gebe es eine Barriere, die man nicht ueberqueren kann, es herrscht Distanz, komme, was wolle. Dies allein auf typisch asiatische Reserviertheit zurueckzufuehren ist wohl zu kurz gegriffen. Kambodschaner, Laoten und Thais wahrten die Distanz ebenso, aber waren doch vertrauter.
Nur eine Folgerung erscheint mir daraus vertretbar. Es ist als wuerden meine verwestlichen Augen den Chinesen mit ebensoeiner Hybris begegnen, wie diese der Natur...Hybris, weil ich westliche Strukturen und Verhaltensweisen und allerwichigsten Denkweisen auf dieses Volk uebertrage, weniger weil ich es will, mehr weil ich es muss, weil mir dieses Land so fremd bleibt. Woher will ich wissen, dass China einem Allmachtsglauben verfallen ist? Ist es nicht auch genauso gut moeglich, dass sich dieses Land einfach nur etwas uebereifrig darauf stuerzt, nachzuholen, was es an technischer Entwicklung im letzten Jahrhundert verpasst hat?
Mit verdichteter Wortwahl und der vermeidlichen Undwiderlegbarkeit persoenlicher Erfahrung presse ich diese Zivilisation, 2000 Jahre Geschichte, das Schwarzpulver und ein Riesenreich, in die 22 km Strasse einer Schlucht. Und wenn ich das tue, erscheine ich mir selbst wie ein Prototyp: Oberflaechlichkeit ist alles was mein Handeln (und Schreiben) leiten kann - Hybris. Ich erscheine mir wie der Prototyp des Westens, der dieses Land einfach nicht versteht, nicht sagen, was es im Innersten zusammen haelt und doch richtet und agiert als tue er es. Das einzige, was ich mit Sicherheit sagen kann ist: Dieses Land ist immer fuer Ueberraschungen gut.
Was fuer ein armseliges Fazit.

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